In den 1980er Jahren entwickelte der Schweizer Autor Hans Widmer (P.M.) eine Utopie, die bei vielen Menschen eine große Faszination auslöste. Gemeint ist das Bolo`Bolo.
Hier schließt sich jeder Mensch mit etwa 500 andern Gleichgesinnten zu einem Bolo zusammen. Das Bolo ist seine grundlegende Übereinkunft mit andern Menschen, ein direkter, persönlicher Lebenszusammenhang. Das Bolo ersetzt die alte Übereinkunft, die wir Geld nennen. Im Bolo und darum herum erhalten die Menschen ihre täglichen 2000 Kalorien, Unterkunft, medizinische Betreuung, alles, was zum Überleben nötig ist und noch viel mehr. Kein Mensch kann aus seinem Bolo vertrieben werden. Hingegen darf er selbst sein Bolo jederzeit verlassen und wieder dorthin zurückkehren. Das Bolo ist das Heim des Einzelnen auf dem Raumschiff Erde.
Keiner ist verpflichtet, in einem Bolo zu wohnen. Er kann ganz allein bleiben, kleinere Gruppen bilden oder besondere Abkommen mit Bolos schließen. Es genügt, wenn ein großer Teil der Menschen in Bolos leben, damit die Geldwirtschaft nicht mehr zurückkehren kann. Die fast vollständige Selbstversorgung der Bolos garantiert ihre Unabhängigkeit. Damit sind sie der Kern einer neuen Form persönlichen, direkten gesellschaftlichen Austauschs. Die Bolos sind notwendig, weil sonst die Geldwirtschaft von selbst wieder entsteht.
Ein Bolo besteht aus seinen Wohn- und Werkstattgebäuden und aus einem landwirtschaftlichen Grundstück, die zusammen seine Selbstversorgung garantieren. Die landwirtschaftliche Basis kann auch aus Weiden, Almen, Fischgewässern, Jagdgründen, Palmenhainen, Algenkulturen, Sammelgebieten und anderem bestehen, je nach geographischen Bedingungen. Das Bolo ist weitgehend selbständig, was die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, vor allem mit Lebensmitteln, betrifft. Es kann auch seine Gebäude und Maschinen selber unterhalten und reparieren. Damit es Gastfreundschaft gewährleisten kann, muss es imstande sein, zusätzlich dreißig bis fünfzig Gäste oder Durchreisende mitzuversorgen.
Selbstversorgung bedeutet keineswegs Isolation oder Verzicht. Die Bolos sind im Gegenteil Zentren vielfältiger Beziehungen nach außen. Sie schließen Tauschabkommen mit andern Bolos ab und gelangen dadurch zu einem größeren Reichtum an Lebensmitteln oder Dienstleistungen. Diese Zusammenarbeit kann bi- oder multilateral sein und wird nicht durch eine zentrale Organisation geplant. Die Bolos können, gerade, weil sie selbständig sind, frei wählen, ob sie mehr oder weniger autark oder kooperativ sein wollen. Entscheidend ist dabei ihr Lebensstil.
Die Größe von Bolos und die Zahl ihrer Mitglieder können überall auf der Welt etwa gleich sein. Seine Grundaufgaben und Verpflichtungen sind überall die gleichen. Aber ihre territorialen, architektonischen, organisatorischen, kulturellen Formen sind ganz verschieden. Genauso, wie kein Mensch gleich ist, gleicht kein Bolo einem andern. Jeder Mensch und jedes Bolo kann seine eigene Identität haben (oder mehr oder weniger darauf verzichten). Bolo'Bolo ist also kein einheitliches System, sondern ein Flickenteppich kleiner Welten.
Bolos brauchen nicht im leeren Raum aufgebaut zu werden – sie sind vielmehr der neue Gebrauch vorhandener Gebäude. In größeren Städten kann ein Bolo aus einem oder zwei Häuserblocks bestehen, aus einer Nachbarschaft, aus einigen zusammenhängenden Bauten. Lauben, Arkaden, Brücken, Über- und Unterführungen können die Häuser verbinden. Das Erdgeschoss kann gemeinschaftlichen Nutzungen vorbehalten werden, Mauern können durchbrochen werden, Straßen werden aufgehoben und so weiter.
Auf dem Land ist ein Bolo ein kleines Dorf, eine Gruppe verstreuter Weiler oder Höfe oder eine Talschaft. Ein Bolo braucht architektonisch nicht zusammenhängend zu sein. Im Pazifik ist es eine größere Koralleninsel oder setzt sich aus einigen kleineren Atollen zusammen. In der Wüste ist es eine Nomadenroute ohne festen Ort: Das Bolo ist unterwegs, und alle seine Mitglieder treffen sich vielleicht nur ein- oder zweimal pro Jahr zu einem großen Fest. Auf Flüssen oder Seen können Bolos aus Wohnbooten bestehen. Im brasilianischen Dschungel entsprechen sie einem Maloka, in Sibirien einer Jäger-Kooperative. Unter stillgelegten Autobahnen kann es »Schlangen«-Bolos geben (mit Gärten auf dem »Dach«). Leere Fabrikgebäude, Schlachtschiffe, Paläste, Gefängnisse, Klöster, Höhlen, Museen, Zoos, Regierungsgebäude, Shopping-Center, Fußballstadien, Parkhäuser, Kasernen, können Bolos beherbergen.
Bolos nisten sich überall ein – gemeinsam haben sie nur eine ungefähre Größe und die Regeln der Gastfreundschaft.
Kompletter Text: Bolo Bolo (english)